Antragssystem der Jusos Baden-Württemberg

N7 ...And Justice for All!

Status:
angenommen

Lehren aus den Ausschreitungen von Stuttgart und Forderungen zur Reform des Polizeigesetzes

Es bleiben Fragezeichen: Nach den Ausschreitungen und Plünderungen vom 20. auf den 21. Juni 2020 war Stuttgart-Mitte kaum wiederzuerkennen. Schon in den vorherigen Wochen war es immer wieder zu Konflikten im Bereich des Schloßplatzes gekommen, in dieser Nacht aber eskalierte die Situation: Ausgangspunkt soll eine Drogenkontrolle der Polizei gegenüber einem 17-Jährigen gewesen sein, woraufhin sich mehrere hundert Personen mit diesem solidarisierten und gegen die Polizist*innen stellten. In den darauffolgenden Stunden zogen randalierende Gruppen durch die Innenstadt – rund 40 Geschäfte wurden dabei beschädigt und geplündert, 32 Polizist*innen und einige weitere Personen verletzt, zudem Rettungskräfte behindert und angegriffen. Erst in den frühen Morgenstunden beruhigte sich die Lage. Noch laufen die Ermittlungen. Für uns ist klar: Die begangenenen Straftaten müssen lückenlos aufgeklärt werden.

Im Rahmen einer Sitzung des Stuttgarter Gemeinderats sprach der örtliche Polizeipräsident Franz Lutz von „bundesweiten Recherchen bei Standesämtern, um den Migrationshintergrund (einzelner Tatverdächtiger) festzustellen“. Im Anschluss flammte eine Debatte auf, ob Lutz in diesem Zusammenhang den Begriff „Stammbaumrecherche“ verwendet habe, denn so stellte es ein Grünen-Stadtrat auf Facebook dar.

Doch die Diskussion, ob die Formulierung „Stammbaumforschung“ nun fiel oder nicht, führt am eigentlichen Kernproblem vorbei: Genauso wie struktureller Rassismus in unserer Gesellschaft existiert, kann sich auch unsere Polizei nicht davon freisagen. Racial Profiling, NSU 2.0 und rechtsextremistische Chatgruppen unter Polizeischüler*innen sind nur einige Beispiele für Rassismus und Rechtsextremismus innerhalb unserer Sicherheitsbehörden. Das ist nicht erst klar, seit zuletzt die Black-Lives-Matter Bewegung auch in Deutschland wieder erfolgreich darauf aufmerksam gemacht hat.

Wir Jusos Baden-Württemberg fordern deshalb entschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung von institutionalisiertem Rassismus in unseren Sicherheitsbehörden. Darunter fallen konkret:
•Die Unterstützung des Vorschlags des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius, eine wissenschaftliche Studie zu rassistischen Haltungen innerhalb der Polizei in Auftrag zu geben – notfalls ohne die Zustimmung des Bundesinnenministeriums als Initiative der Länder. Die SPD-Landtagsfraktion soll die Landesregierung dazu auffordern, sich dem anzuschließen.
•Die systematische und unabhängige Untersuchung von entsprechenden Vorwürfen gegen Beamte. Hierfür soll auf Landesebene eine Aufklärungs- und Beschwerdestelle für Konflikte innerhalb und mit Polizeibehörden eingerichtet werden.
•Die Stärkung von Grund- sowie Menschenrechtsbildung in der Aus- und insbesondere der regelmäßigen Fortbildung von Polizist*innen.

Denn in unserer Demokratie ist unverrückbar: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Die Nationalität der Eltern oder Großeltern, das Aussehen oder die Sprache dürfen dabei niemals eine Rolle spielen!

Doch auch unabhängig von diesen offenen Problemen, ist die Polizei aktuell wieder groß im öffentlichen Diskurs. Bereits zum zweiten Mal in der laufenden Legislaturperiode will die grün-schwarze Landesregierung das Polizeigesetz reformieren. 2017 sprach der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann bereits davon an die Grenze des verfassungsrechtlich möglichen gehen zu wollen. Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, ob diese Grenze bereits damals überschritten wurde, läuft noch, aber schon wieder soll die Polizei noch mehr Befugnisse erhalten.
Als Jusos Baden-Württemberg fordern wir die SPD-Landtagsfraktion dazu auf, sich deutlich gegen die erneute teils verfassungsrechtlich bedenkliche Reform des Polizeigesetzes zu positionieren. Hierzu zählen aus unserer Sicht:

  • Die Kontrolle und Durchsuchung von Personen auf Großveranstaltungen ohne Anlass.
  • Die schnellere und einfachere Möglichkeit zur Überwachung von Menschen, die möglicherweise eine Straftat begehen könnten.
  • Die Ausweitung des Einsatzes von Bodycams auf Wohnungen.
  • Ergänzend plädieren wir für die Umsetzung der Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen.
  • Nicht zuletzt lehnen wir die Einführung von Alkoholverboten und Sperrstunden auf öffentlichen Plätzen genauso wie die Wiedereinführung des Alkoholverkaufsverbots in Baden-Württemberg entschieden ab.
Begründung:

Erfolgt Mündlich

Text des Beschlusses:

Lehren aus den Ausschreitungen von Stuttgart und Forderungen zur Reform des Polizeigesetzes

Es bleiben Fragezeichen: Nach den Ausschreitungen und Plünderungen vom 20. auf den 21. Juni 2020 war Stuttgart-Mitte kaum wiederzuerkennen. Schon in den vorherigen Wochen war es immer wieder zu Konflikten im Bereich des Schloßplatzes gekommen, in dieser Nacht aber eskalierte die Situation: Ausgangspunkt soll eine Drogenkontrolle der Polizei gegenüber einem 17-Jährigen gewesen sein, woraufhin sich mehrere hundert Personen mit diesem solidarisierten und gegen die Polizist*innen stellten. In den darauffolgenden Stunden zogen randalierende Gruppen durch die Innenstadt – rund 40 Geschäfte wurden dabei beschädigt und geplündert, 32 Polizist*innen und einige weitere Personen verletzt, zudem Rettungskräfte behindert und angegriffen. Erst in den frühen Morgenstunden beruhigte sich die Lage. Noch laufen die Ermittlungen. Für uns ist klar: Die begangenenen Straftaten müssen lückenlos aufgeklärt werden.

Im Rahmen einer Sitzung des Stuttgarter Gemeinderats sprach der örtliche Polizeipräsident Franz Lutz von „bundesweiten Recherchen bei Standesämtern, um den Migrationshintergrund (einzelner Tatverdächtiger) festzustellen“. Im Anschluss flammte eine Debatte auf, ob Lutz in diesem Zusammenhang den Begriff „Stammbaumrecherche“ verwendet habe, denn so stellte es ein Grünen-Stadtrat auf Facebook dar.

Doch die Diskussion, ob die Formulierung „Stammbaumforschung“ nun fiel oder nicht, führt am eigentlichen Kernproblem vorbei: Genauso wie struktureller Rassismus in unserer Gesellschaft existiert, kann sich auch unsere Polizei nicht davon freisagen. Racial Profiling, NSU 2.0 und rechtsextremistische Chatgruppen unter Polizeischüler*innen sind nur einige Beispiele für Rassismus und Rechtsextremismus innerhalb unserer Sicherheitsbehörden. Das ist nicht erst klar, seit zuletzt die Black-Lives-Matter Bewegung auch in Deutschland wieder erfolgreich darauf aufmerksam gemacht hat.

Wir Jusos Baden-Württemberg fordern deshalb entschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung von institutionalisiertem Rassismus in unseren Sicherheitsbehörden. Darunter fallen konkret:
•Die Unterstützung des Vorschlags des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius, eine wissenschaftliche Studie zu rassistischen Haltungen innerhalb der Polizei in Auftrag zu geben – notfalls ohne die Zustimmung des Bundesinnenministeriums als Initiative der Länder. Die SPD-Landtagsfraktion soll die Landesregierung dazu auffordern, sich dem anzuschließen.
•Die systematische und unabhängige Untersuchung von entsprechenden Vorwürfen gegen Beamte. Hierfür soll auf Landesebene eine Aufklärungs- und Beschwerdestelle für Konflikte innerhalb und mit Polizeibehörden eingerichtet werden.
•Die Stärkung von Grund- sowie Menschenrechtsbildung in der Aus- und insbesondere der regelmäßigen Fortbildung von Polizist*innen.

Denn in unserer Demokratie ist unverrückbar: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Die Nationalität der Eltern oder Großeltern, das Aussehen oder die Sprache dürfen dabei niemals eine Rolle spielen!

Doch auch unabhängig von diesen offenen Problemen, ist die Polizei aktuell wieder groß im öffentlichen Diskurs. Bereits zum zweiten Mal in der laufenden Legislaturperiode will die grün-schwarze Landesregierung das Polizeigesetz reformieren. 2017 sprach der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann bereits davon an die Grenze des verfassungsrechtlich möglichen gehen zu wollen. Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, ob diese Grenze bereits damals überschritten wurde, läuft noch, aber schon wieder soll die Polizei noch mehr Befugnisse erhalten.
Als Jusos Baden-Württemberg fordern wir die SPD-Landtagsfraktion dazu auf, sich deutlich gegen die erneute teils verfassungsrechtlich bedenkliche Reform des Polizeigesetzes zu positionieren. Hierzu zählen aus unserer Sicht:

  • Die Kontrolle und Durchsuchung von Personen auf Großveranstaltungen ohne Anlass.
  • Die schnellere und einfachere Möglichkeit zur Überwachung von Menschen, die möglicherweise eine Straftat begehen könnten.
  • Die Ausweitung des Einsatzes von Bodycams auf Wohnungen.
  • Ergänzend plädieren wir für die Umsetzung der Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen.
  • Nicht zuletzt lehnen wir die Einführung von Alkoholverboten und Sperrstunden auf öffentlichen Plätzen genauso wie die Wiedereinführung des Alkoholverkaufsverbots in Baden-Württemberg entschieden ab.
Beschluss-PDF:
Überweisungs-PDF: